Verreisen mit dem eigenen Bett im Gepäck? Immer mehr Deutsche reizt diese Art des Urlaubs, die Zahl der zugelassenen Wohnmobile und Wohnanhänger näherte sich im vergangenen Jahr bereits der Millionengrenze. Das neueste Angebot dazu aus dem Ford-Sortiment ist das Modell Nugget. Ob es ein wahres Goldstückchen ist, zeigte ein Ausflug an ans Meer.
Allein 350.000 Wohnmobile zählte das Kraftfahrtbundesamt (KBA) zu Beginn vergangenen Jahres, 580 000 Wohnanhänger kamen noch hinzu. Der Trend hält an, in den letzten fünf Jahren wuchs der Bestand bei den selbst fahrenden Behausungen um 8,4 Prozent. Viele Hersteller von Nutzfahrzeugen bedienen sich beim Auf- und Ausbau der Fahrgestelle einer Spezialfirma, so auch Ford. Das in Rheda Wiedenbrück beheimatete Unternehmen Westfalia hat mehr als 50 Jahre Erfahrung mit der Ausrüstung von Wohnmobilen und hat schon den Vorgänger des aktuellen Nuggets für Ford gebaut.
Bei der Beurteilung des auf Transit-Basis hergestellten Campers ist es deshalb sinnvoll, die Qualität des fahrenden und des bewohnbaren Teils getrennt zu betrachten. Schließlich kann Westfalia nichts dafür, wenn der Motor stottert, ebenso wenig wie Ford dafür verantwortlich ist, wenn die Türen der Einbauschränke nicht richtig schließen. Beides, das sei sicherheitshalber hier erwähnt, gab keinen Anlass zu Beanstandungen.
Ausgangsmodell des Testwagens ist ein Transit Custom Kombi mit 2,2-Liter-Dieselmotor und 155 PS. Der Innenausbau mit Kühlschrank, Gasherd, Tisch und Schränken hebt das Gesamtgewicht auf 2580 Kilo, so dass es für Interessenten sinnvoll erscheint, nicht den 125 PS leistenden Basismotor zu wählen. Vergleicht man den aktuellen Nugget mit dem Vorgänger, fällt in erster Linie das geänderte Konzept des Dachaufbaus an dem 2,85 Meter hohen Fahrzeug ins Auge.
Der Alkoven sieht jetzt aus wie eine überdimensionierte Dachbox, wie sie zum Beispiel als Pkw-Gepäckträger angeboten wird. Optisch gliedert sich die Karosserie also in einen Fahr- und einen Schlafteil. Das Vorgängermodell war insofern harmonischer als kompakte Einheit gestaltet und sah aus, „wie aus einem Guss“. Vergleichswerte für den Luftwiderstandsbeiwert konnte Ford leider nicht liefern, weshalb man sich auf die Annahme verlassen muss, dass das aktuelle Modell aerodynamisch optimiert ist. Reisemobile gehen lange Wege und da ab 80 km/h der Luftwiderstand generell der größte Fahrwiderstand eines Autos ist, hat der cw-Wert am Ende erheblichen Einfluss auf die Reisekosten.
Dass die Normen des neuen europäischen Fahrzyklus’ (NEFZ) nur selten etwas mit der Realität auf der Straße zu tun haben, wurde auch in diesem Fall sichtbar. Laut Datenblatt soll der Transit Custom Kombi nur 6,4 Liter Diesel je 100 Kilometer verheizen, was er wohl auch tun mag, wenn er auf dem Rollenprüfstand steht. Als Ford Nugget auf circa 1000 Reisekilometern waren es am Ende 8,9 Liter. Ein ganz passabler Wert, wenn man mit rund drei Tonnen Gewicht und einem rollenden Kleiderschrank unterwegs ist. Dank 385 Newtonmetern Drehmoment kann man mit Gelassenheit auf die Überholspur wechseln und mit den Pkw-Reisenden mitschwimmen. Als Getriebe ist ausschließlich eine Sechs-Gang-Handschaltung verfügbar.
Das aufgeräumte Cockpit ist übersichtlich und funktionell. Ford-Fahrer werden keine Schwierigkeiten mit der Orientierung haben. Originell ist die „getarnte“ Schatulle oberhalb der Rundinstrumente, wo sich auch ein USB-Anschluss zum Laden des Handys befindet. Die Bedienlogik von Mobiltelefonen war es auch, die Ford einst inspirierte, den Gebrauch der Navigationsgeräte über Pfeiltasten in vertikaler und horizontaler Richtung zu regeln. Nokia hatte einst dieses Prinzip für viele seiner Handtelefone realisiert. Die heutigen Smartphones haben diese Handhabung aber längst überholt, weshalb die noch immer geltende Tastenarchitektur auf dem Ford-Panel mühsam bedienbar und etwas antiquiert erscheint. Dreh-Drücksteller wären für die nächste Geräte-Generation ratsam. Die seitlichen Getränkehalter sind für 1,5-Liter-Flaschen geeignet.
Um mittels Rückbank und den beiden vorderen Sesseln eine kleine Sitzgruppe entstehen zu lassen, ist das vordere Gestühl um 180 Grad drehbar. Obwohl es für die Onboard-Kommunikation nützlich sein könnte, ist nicht vorgesehen, dass der Beifahrer auch entgegen der Fahrrichtung reisen kann, denn der Sicherheitsgurt funktioniert nur vorwärts. Ein Sitz mit integriertem Sicherheitssystem, wie ihn zum Beispiel VW für den T5 anbietet, wäre hier zu empfehlen. Außerdem verdienen die Sitze eine Einrastfunktion für die Reverse-Position.
Zur Standard-Ausstattung gehören beim Nugget Klimaanlage, Nebelscheinwerfer, Start-Stopp-Automatik, Lederlenkrad, Tempomat, Abbiegelicht, Reifendruckkontrollsystem, Wärmeschutzverglasung, beheizbare Frontscheibe und Zentralverriegelung. Das Navigationsgerät mit dem etwas klein geratenen 5-Zoll-Bildschirm kostet 1707,65 Euro extra.
Zwischen Cockpit und 2. Sitzreihe vermischen sich die Zuständigkeiten der beteiligten Hersteller. Zum Beispiel könnte der Ausklapptisch, der gegenüber der seitlichen Schiebetür montiert ist, eine zweite Stütze vertragen. Nimmt man die durchaus üppig bemessene Abstellfläche voll in Anspruch, wird es auf dem 2. Tischteil abschüssig. Die bewegliche Rückbank hat mehrere Funktionen: Sitzgelegenheit bei Tag zum Essen, Klönen, Karten spielen und als 1,90 mal 1,30 große Liegefläche zur Nacht. Außerdem befindet sich unter dem Polster ein großer Stauraum für Reiseutensilien. Dort lagern normaler Weise die bequem durch Saugnäpfe zu montierenden Verdunkelungen für Front- und vordere Seitenscheiben. Die übrigen Seitenscheiben wurden durch knöpfbare Vorhänge blickdicht gemacht.
Die Liegefläche im Obergeschoß ist fast 2,30 m tief und 1,40 Meter breit. Beim Vorgänger betrug die Länge nur knapp zwei Meter. Aber Obacht: Normierte Spannbettlaken sind meist zu klein. Dafür ist der Liegekomfort sehr gut, denn außer einer dreiteiligen Kaltschaummatratze ist der Boden mit beweglichen Federelementen ausgestattet. Schade nur, dass der Platz nach oben so begrenzt ist. Nicht jeder schläft entspannt, wenn er über sich nicht einmal den Arm ausstrecken kann. Von den 60 cm Höhe gehen am Oberlicht noch einmal vier Zentimeter ab, denn der Rahmen für Moskitonetz und Jalousie ragt in den Raum. Letztere ist aus faltbarem Papiermaterial, was anfällig gegen Verknicken ist.
Diese Tatsache zeigt ebenso wie die aus Plastik gefertigten Verriegelungsknebel der oberen Seitenscheiben, dass auch eine erfahrene Firma wie Westfalia noch dazu lernen kann. Die Öffnung der Scheiben erfordert einigen Kraftaufwand, so dass mit Metallknebeln der Bruchgefahr entgegen gewirkt werden sollte. Die Tür des hinteren Kleiderschranks hat im Innern einen großen Schminkspiegel, was weibliche Reisende sehr zu schätzen wissen. Der Tür fehlt nur eine Arretierungsfunktion, denn wenn das Fahrzeug auf einer Schräge abgestellt werden muss, kann die Tür von selbst zufallen, was für kosmetische Verrichtungen hinderlich ist. Ein paar Seitentaschen für Brille, Armbanduhr und anderes Kleinzeug in der Nähe der Liegeflächen könnten auch nicht schaden.
Die Nutzer aller bisherigen Nugget-Ausführungen loben gern die große Stehhöhe im Innern. Sowohl im Küchen-, als auch im Funktionsbereich in der Mitte beträgt sie mehr als zwei Meter (wenn das obere Bett zusammen geschoben ist). An der Schiebetür begrenzt eine bündig eingelassene Edelstahlschiene den Innenbereich, so kann man den Sand vom Strand leicht mal ausfegen. Nur an der hinteren Klappe besteht eine etwa drei Zentimeter hohe Kante. Diese Klappe reicht bis 60 Zentimeter über den Boden herunter, aber sie braucht zum Aufschwingen gut 1,10 Meter Platz hinter dem Fahrzeug. Für Portaltüren bestünde diese Einschränkung nicht.
Der Platz unter der geöffneten Klappe kann auch der Erfrischung dienen, denn dort ist der Anschluss für die Außendusche. Wer lieber den Trubel der Campingplätze meidet und sich selbst sein lauschiges Plätzchen im Grünen sucht, wird aber auf Hygiene-Exzesse verzichten, denn der Frischwassertank fasst lediglich 42 Liter. Bei sparsamer Haushaltsführung reicht das für fünf Tage Katzenwäsche sowie Kaffee- und Instantsuppen-Zubereitung. Umso üppiger bemessen, weil fast genauso groß, ist der Toplader-Kühlschrank. Auch ohne permanenten Anschluss am 220-Volt-Netz hält er lange und zuverlässig seine Temperatur – dank eines zweiten Batteriekreislaufs. Der Butan-Gaskocher ist kinderleicht zu bedienen und narrensicher, an Steckdosen herrscht ebenso wenig Mangel wie an Ablage- und Verstauflächen.
Im Nugget könnte mancher Camping-Anfänger seinen Goldkiesel finden. Mit nicht einmal fünf Metern Länge ist leicht zu fahren und leicht zu rangieren. Manche Oberklasse-Limousine beansprucht größere Parkbuchten. Die Westfalia-Ausstattung ist vollständig und funktional, auch wenn es in Details noch Optimierungs-Potenzial gibt. Das Fahrgestell aus der Ford-Werkstatt bietet die in Millionen von Transit-Kilometern bewährte Solidität. Der Einstiegspreis von 54.204 Euro bietet einen realistischen Gegenwert, wenn man den Wunsch hat, das Zuhause mit in den Urlaub zu nehmen. (ampnet/ab)
Daten Ford Transit Custom Nugget
Länge x Breite x Höhe (m): Länge x Breite x Höhe (m): 4,97 x 1,98 (o. Außenspiegel) x 2,85
Radstand (m): 2,93
Motor: R4- Turbodiesel 2,2-Liter Hubraum
Leistung: 114 kW / 155 PS bei 5500 – 6200 U/min
Drehmoment: 385 Nm bei 1600 U/min
Getriebe: 6. Gang manuell
Höchstgeschwindigkeit: 157 km/h
Beschleunigung 0 auf 100 km/h: k.A.
Kraftstoff-Verbrauch (kombiniert), Herstellerangabe / Test: 6,4 L / 8,9 L/100 km
CO2-Emissionen: 168 g/km
Effizienzklasse: B
Tankvolumen: 80 L / 95 L (Option)
Leergewicht / Zuladung: 2580 kg / 420 kg
Schlaf-/Sitzplätze: 4/ 5
Batteriekapazität: 2 x 95 Ah
Kühlschrank: 40 L
Gasvorrat: 2.8 Kg Butan
Standheizung: Warmluft 3,5 kW mit Zeitschaltuhr
Frisch-/Abwassertank: 42 /42 L
Räder / Reifen: 6,5 J x 15 / 215/65 R 15
Grundpreis: 54 204,50 Euro
Testwagenpreis: 57.780 Euro